Knast für ein Sprachproblem

Aus Buskeismus

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Drei Worte und zwei Liedstrophen für den Dichter Liao Yiwu in China

3. März 2010, 06:30 Uhr, Wolf Biermann

1. Und daran muss ich denken, seit Tagen: In meiner DDR-Zeit als kleiner Drachentöter, bewaffnet nur mit dem klingenden Holzschwert, sang ich 1966 in Ostberlin für die Freunde - begleitet vom exotischen Gequietsche der mittelalterlichen Drehleier des Gambenbauers Hans Zölch - mein kesses Pasquill: In China hinter der Mauer. Allein das Wörtchen Mauer für die Mauer war den Herrschenden im Politbüro der SED ein Indiz: Da galt der Gummiparagraf, der gefürchtete § 106: Staatsfeindliche Hetze. Aber die Strophen waren noch radikaler, an wenigstens zwei aus der langen Ballade sei hier erinnert.

Wo wird das Volk wie Vieh regiert
Verdummt, entmündigt und kastriert
Damit es schuftet und pariert
und wo liegt auf der Lauer
Der Bürokratenschutzverein
Sperrt gute Kommunisten ein
Wenn sie nicht halleluja schrein ??
In China! In China!
In China hinter der Mauer ...
Sag bloß mal einen wahren Satz
Dann kriegst du einen vor den Latz
Die Freiheit ist ein toter Spatz
verfault im Vogelbauer
Und wo, mein Freund, wirst du geschasst
Hat mal ein Spitzel aufgepasst
Und wo verfaulst du dann im Knast??
In China! In China!
In China hinter der Mauer ...
Gesungen 1966 in Ostberlin

2. Über das Massaker 1989 in Peking auf dem Platz des Himmlischen Friedens schrieb also der Poet Liao Yiwu ein Gedicht, und darin nannte er das Massaker ein MASSAKER. Ach! Vier Jahre Knast hat ihn dieses Sprachproblem gekostet. Und die ganze Rechnung in der härtesten Währung hat dieser Liao Yiwu wohl noch lange nicht gezahlt. Die Herrschenden hassen ihn, weil sie ihn fürchten müssen. Dieser schwache Mensch ist ein sprachmächtiger Zeuge für das Leid der Mao-Massen auf dem langen Marsch in den hypermodernen KZ-Kapitalismus, vor dem nun in der Wirtschaftskrise die Weltmärkte zittern.

3. Die Menschen, für die er Zeugnis ablegt, leiden noch heilloser als der Zeuge. Ich vergleiche mit meinen Erfahrungen. Vergleichen, das heißt ja nicht etwa Gleichsetzen. Unsere Leiden in der DDR-Diktatur bieten sich mir an. Darf man vergleichen? Kann man vergleichen? Soll man überhaupt?

Und ob, ihr kommoden Polit-Klugscheißer und Gutmensch-Trottel! Wie sonst könnten wir erkennen: was gleich ist am Verschiedenen und was nicht. Ansonsten wissen ja alle aus diesen und jenen Erfahrungen: Das eigene Leid will immer das größte sein. Und das ist meine Hoffnung: Über diese heikle Frage möchte ich mit Liao Yiwu eines wirklich schönen Tages in Ruhe reden, am Kamin in Altona.

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