Dreckiger Schwanzlutscher - verboten

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Äußerung dreckiger Schwanzlutscher" gegenüber einem Poliziusten ist strafrechtlich verboten.

Urteil

LG Tübingen, Urteil vom 18. Juli 2012, Az.: 24 Ns 13 Js 10523/11

Aus den Gründen:

“Entscheidend ist aber, dass sich das Strafrecht in einen Widerspruch zu dem verfassungsrechtlich begründeten Antidiskriminierungsansatz begeben würde, wenn die Bezeichnung als „homosexuell“ als ehrmindernd und herabsetzend bewertet würde. Darin käme gerade die Diskriminierung zum Ausdruck, die von Rechts wegen nicht mehr sein soll. Insoweit verhält es sich nicht anders wie mit sonstigen Bezeichnungen einer sexuellen Präferenz wie „bisexuell“ oder „heterosexuell“ oder mit Bezeichnungen einer religiösen Zugehörigkeit wie Katholik oder Jude – und zwar völlig unabhängig davon, ob der Erklärungsempfänger der betreffenden Personengruppe angehört.”
Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass hier uniformierte Polizeibeamte als „homosexuell“ tituliert wurden. Ein Sonderrecht für Polizeibeamte in Uniform – schärfer: eine Ausnahme vom verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbot – ist nicht anzuerkennen.
Anders beurteilen sich Äußerungen, die sich nicht auf die Bezeichnung „homosexuell“ beschränken, sondern zusätzlich eine Herabwürdigung ausdrücken wie z.B. „dreckige Schwanzlutscher“ oder „Schwuchteln“. Solche Äußerungen hat das Amtsgericht ebenfalls festgestellt (s. II. 3.) und völlig zu Recht als Beleidigungen gewertet.


Urteil 24 Ns 13 Js 10523/11

LG Tübingen, Urteil vom 18. Juli 2012, Az.: 24 Ns 13 Js 10523/11

Tenor

Die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Tübingen vom 01.03.2012 wird mit der Maßgabe verworfen, dass der Tenor wie folgt neu gefasst wird:

1. Der Angeklagte wird wegen Beleidigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, wegen Beleidigung in 4 tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Bedrohung in 2 tateinheitlichen Fällen sowie wegen Bedrohung in 2 tateinheitlichen Fällen zu der

<certer>Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15,- Euro</center>

verurteilt.
Im Übrigen wird der Angeklagte freigesprochen.
2. a) Der Angeklagte trägt die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und seine notwendigen Auslagen im Umfang seiner Verurteilung. Soweit er freigesprochen wurde, trägt die Staatskasse die Verfahrenskosten und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.
b) Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Am 01.03.2012 wurde der Angeklagte vom Amtsgericht Tübingen wegen Beleidigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, wegen Beleidigung in vier tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen, wegen Beleidigung in vier tatmehrheitlichen Fällen sowie wegen Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen zu der Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15 EUR verurteilt.

Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft form- und fristgerecht Berufung ein, die schon vor Beginn der Berufungshauptverhandlung schriftsätzlich auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden war. Vorrangiges Ziel war die Verurteilung zu einer höheren Strafe; zuletzt wurde in der Berufungshauptverhandlung eine Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 10 EUR beantragt.

Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.

II.

1. Durch die wirksame Rechtsmittelbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch sind der Schuldspruch und die ihn tragenden tatsächlichen und rechtlichen Feststellung des erstinstanzlichen Urteils im Hinblick auf die Taten II. Ziff. 1. bis 3. und 5. des amtsgerichtlichen Urteils in Rechtskraft erwachsen und damit für die Kammer bindend geworden. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die entsprechenden Feststellungen im angefochtenen Urteil, dort unter II. Ziffer 1. bis 3. und 5. (bis S. 5, einschl. 4. Absatz) sowie IV. (mit Ausnahme der Umschreibung „der Beleidigung in vier tateinheitlichen Fällen“, IV. 4. Zeile), verwiesen.

2. Im Hinblick auf II. Ziff. 5. des amtsgerichtlichen Urteils hat die Kammer durch Vernehmung des Zeugen I sowie Verlesung einer Erklärung des Zeugen D vom 09.07.2012 ergänzend festgestellt, dass die Mütter der beiden Zeugen zur Tatzeit noch lebten. Die „nahestehende Person“ im Sinne des § 241 StGB muss jedenfalls tatsächlich existieren, da die Bedrohung nur vermeintlich lebender Personen nicht ausreicht (BVerfG NJW 1995, 2776; Fischer, StGB, 59. Aufl. 2012, § 241 Rn. 4a).

3. Die Rechtsfolgenbeschränkung war von der Staatsanwaltschaft bereits durch Schriftsatz vom 18.05.2012 (Bl. 106 d. A.), der in der Berufungshauptverhandlung verlesen wurde, wirksam erklärt worden. Darin war das Berufungsziel folgendermaßen formuliert:

„Ziel der gegen das Urteil des Amtsgerichts Tübingen vom 01.03.2012 – Az.: 9 Ds 13 Js 10523/11 – eingelegten Berufung vom 01.03.2012 ist eine Verurteilung mindestens zu einer Geldstrafe, die deutlich über 90 Tagessätzen liegt.

Das Strafmaß wird hinsichtlich der einzelnen Taten, aber insbesondere auch in seiner Gesamtheit, dem Unrechtsgehalt der Taten nicht gerecht.“

Es ist anerkannt, dass die Beschränkung nicht ausdrücklich erklärt zu werden braucht. Sie kann sich insbesondere aus Wortlaut und Sinn der Berufungsbegründung ergeben, wobei bei Erklärungen der Staatsanwaltschaft und des Verteidigers gegenüber denjenigen eines rechtsunkundigen Angeklagten ein strengerer Maßstab anzulegen ist (Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl. 2011, § 318 Rn 2). Eine Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch liegt hier vor, da die Feststellungen des Amtsgerichts zur Sache und die rechtliche Würdigung der festgestellten Taten in der schriftlichen Erklärung der Staatsanwaltschaft zum Berufungsziel nicht angegriffen wurden.

Die grundsätzlich mögliche Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch war jedoch im Hinblick auf die Tat II. Ziff. 4. des amtsgerichtlichen Urteils unwirksam.

Eine Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch setzt voraus, dass die Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils zum Schuldspruch eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Rechtsfolge bilden. Das trifft im Hinblick auf die Taten II. Ziff. 1. bis 3. und 5. des amtsgerichtlichen Urteils zu, denn die diesbezüglichen Feststellungen des Amtsgerichts i.V.m. den ergänzenden Feststellungen der Kammer (II. Ziff. 2) tragen den entsprechenden Schuldspruch.

Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist jedoch unwirksam, wenn die vom Tatgericht ermittelte Tat überhaupt nicht mit Strafe bedroht ist (Meyer-Goßner, a.a.O., Rn 17). Wie noch auszuführen ist, stellt der zwischen den Verfahrensbeteiligten ganz unstreitig vorgefallene Sachverhalt unter II. Ziff. 4 des amtsgerichtlichen Urteils - die Bezeichnung der Polizeibeamten als „Homosexuelle“ - keine strafbare Beleidigung dar (s. unten VI.).

Die teilweise Unbeachtlichkeit der Berufungsbeschränkung betrifft dagegen nicht die anderen Taten. Denn bei ihnen handelt es sich um sachlich-rechtlich selbständige Vorfälle (§ 53 StGB), auf deren strafrechtliche Beurteilung sich die Würdigung der Tat unter II. Ziff. 4. des amtsgerichtlichen Urteils in keiner Weise auswirkt.

III.


Der jetzt 24jährige ledige und kinderlose Angeklagte wuchs mit seinen fünf Geschwistern in Tübingen auf. Im Alter von 13 Jahren ließen sich seine Eltern scheiden. Der Angeklagte lebt seither bei seiner Mutter in Tübingen; der Vater, zu dem er einen guten Kontakt pflegt, wohnt in Stuttgart. 15

Nach der Grundschule besuchte der Angeklagte die Realschule und wechselte in der 9. Klasse auf die Hauptschule, die er mit dem Hauptschulabschluss beendete. Nach dem Werkrealschulabschluss innerhalb eines Jahres erreichte er in einem zweijährigen kaufmännischen Berufskolleg die Fachhochschulreife. Im Wintersemester 2010/2011 begann er nach seinem einjährigen Zivildienst das Studium der Markt- und Kommunikationsforschung an der Fachhochschule in Pforzheim. Die ersten beiden Semester erhielt er BaFöG. Später finanzierte er sein Studium zeitweise als Werksstudent bei der Firma Daimler in Stuttgart. Der letzte auf 8 Monate befristete Werksstudentenvertrag ist ausgelaufen. Inzwischen ist der Angeklagte im 4. Semester und erhält kein BaFöG mehr. Das 5. Semester wird ein Praxissemester ein. Der Angeklagte bewohnt mietfrei ein Zimmer in der Wohnung seiner Mutter, die das Kindergeld für ihn erhält und ihn finanziell unterstützt. Der Angeklagte hat Schulden in Höhe von etwa 2.000 EUR aus einem bereits ausbezahlten BaFöG-Kredit, die er nach seinem Studium zurückbezahlen muss.

Im Vorstrafenverzeichnis des Angeklagten finden sich keine Eintragungen.

IV.

1. Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten beruhen auf seinen glaubhaften Angaben sowie dem verlesenen Auszug aus dem Bundeszentralregister.

2. Die ergänzenden Feststellungen zur Sache beruhen auf der Verlesung der Erklärung des Zeugen D vom 09.07.2012 sowie auf der Vernehmung des Zeugen I in der Berufungshauptverhandlung, der im Übrigen die Feststellungen des Amtsgerichts zum Umfang und zum Gewicht der Vorfälle gegenüber der Polizei bestätigte. Zu seiner Verletzung befragt gab der Zeuge an, er habe am Tag noch leichte Schmerzen am Finger gespürt, sei aber deshalb nicht zum Arzt gegangen.

3. Nach der Beweisaufnahme stellte die Vertreterin der Staatsanwaltschaft im Rahmen ihres Schlussplädoyers folgenden Hilfsbeweisantrag:

„Für den Fall, dass die Berufung bezüglich Ziffer 1 der Anklage nicht wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt sein sollte, wird beantragt

zum Beweis dafür, dass der Angeklagte dem Geschädigten H am 02.06.2011 gegen 03.00 Uhr bespuckte und mit der Faust auf die Nase schlug, wodurch der Geschädigte Schmerzen und Nasenbluten erlitt, den Zeugen H zu vernehmen.“ 22

In der Begründung ging die Staatsanwaltschaft selbst von einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch aus, meinte aber, dass sich die von der Kammer angenommene Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung im Hinblick auf die Tat unter II. Ziff. 4. dergestalt auswirke, dass sie insgesamt als unbeschränkt eingelegt zu gelten habe.

Diese Auffassung trifft nicht zu. Für die Reichweite der Berufungsbeschränkung gilt ebenso wie für die teilweise Anfechtung einzelner Punkte der Grundsatz der Widerspruchsfreiheit des Urteils. Die trotz ihres stufenweisen Zustandekommens als einheitliches Ganzes anzusehende abschließende Entscheidung des Verfahrens darf nicht in sich widersprüchlich sein. Eine Berufungsbeschränkung ist daher – nur und insoweit – unwirksam, als sie zu Widersprüchen zwischen den nicht angefochtenen Teilen des Urteils und der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts führen kann. Umgekehrt ist eine Beschränkung möglich, wenn sie sich auf Beschwerdepunkte bezieht, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung der Entscheidung im Übrigen erforderlich zu machen (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., Rn. 6 und 7).

Das ist hier im Hinblick auf den unter II. Ziff. 4. festgestellten Sachverhalt der Fall. Die offenkundig zwischen der Kammer und der Staatsanwaltschaft kontroverse Bewertung der Äußerung „Homosexuelle“ als Beleidigung wirkt sich in keiner Weise auf die Ermittlung und Würdigung der übrigen Taten aus. Vor allem aber steht die Äußerung gegenüber den Polizeibeamten in keinem rechtlichen Zusammenhang mit dem tätlichen Angriff auf den Türsteher in der Diskothek einige Zeit zuvor. Durch die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch waren somit die Feststellungen und der Schuldspruch des amtsgerichtlichen Urteils im Hinblick auf die Taten II. Ziff. 1. bis 3. und 5. in Rechtskraft erwachsen und damit für die Kammer bindend geworden. Dadurch war dieser Teil des Urteils auch einer weiteren Nachprüfung entzogen. Ein Beweisantrag zur Vernehmung eines Zeugen zur Schuldfrage der bereits in Rechtskraft erwachsenen Tat ist daher unzulässig. Aus diesem Grunde musste die Kammer dem Hilfsbeweisantrag nicht nachgehen.

V.

1. Bei der Entscheidung über den Rechtsfolgenausspruch ist von folgenden Strafrahmen auszugehen:

a) Bei den Taten II. Ziff. 1 und II. Ziff. 2 war gem. § 52 Abs. 2 StGB der Strafrahmen des § 223 StGB zugrunde zu legen, der Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe vorsieht.

b) Im Hinblick auf die Tat II. Ziff. 3 ist vom Strafrahmen bis zu einem Jahr oder Geldstrafe auszugehen (§§ 185, 241 Abs. 1, 52 Abs. 2 StGB).

c) Bei der Tat II. Ziff. 5 ist vom Strafrahmen des § 241 Abs. 1 StGB auszugehen, der Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe vorsieht.

2.a) Eine Strafmilderung gem. §§ 21, 49 Abs. 1 StGB kam nicht in Betracht. Wie schon das Amtsgericht ausgeführt hat, ergab sich aus dem durch die Blutentnahme um 4:45 Uhr ermittelten Zusammenwirken von Alkohol (1,24 Promille) und Cannabinoiden (THC: 2,1 ng/ml; OH-THC: 1,0 ng/ml; THC-COOH: 30,0 ng/ml) keine erhebliche Beeinträchtigung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit. Dieses durch Verlesung des Blutentnahmeprotokolls vom 02.06.2011 (Bl. 40 d.A.), des Blutalkoholgutachtens vom 06.06.2011 (Bl. 41 d.A.) sowie des forensisch-toxikologischen Gutachtens vom 14.06.2011 (Bl. 43 ff. d.A.) gewonnene Ergebnis wurde durch die Angaben des Zeugen I bestätigt, der beim Angeklagten keine relevanten Einschränkungen seiner motorischen und kognitiven Fähigkeiten oder Anzeichen eines schweren Rausches wie beispielsweise Bewusstseinsstörungen, Desorientiertheit oder den Verlust des Situationsbezugs bemerken konnte.

b) Auch eine Milderung des Strafrahmens nach §§ 46 a, 49 Abs. 1 StGB kam in keinem der Fälle in Betracht. Im Hinblick auf die Tat II. Ziff. 1 lagen die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs i.S. eines ernsthaften Erstrebens einer Wiedergutmachung im Rahmen eines kommunikativen Prozesses zwischen Täter und Opfer nicht vor. Zwar entschuldigte sich der Angeklagte beim Türsteher H. Aber die Entschuldigung erfolgte nach den Angaben des Angeklagten eher zufällig anlässlich eines weiteren Besuchs in der Diskothek „...“, wobei sich Herr H angeblich nicht mehr an den Vorfall erinnern konnte.

Auch im Hinblick auf die Taten II. Ziff. 2, 3 und 5 liegen trotz der Entschuldigungen und Zahlungen nach Auffassung der Kammer keine umfassenden friedensstiftenden Ausgleichsbemühungen des Angeklagten zugunsten der geschädigten Polizeibeamten vor. Die schriftliche Entschuldigung vom 15.07.2011, die vom Verteidiger des Angeklagten verfasst war, bezog sich lediglich auf die Beleidigungen des Angeklagten, nicht auf die weiteren Straftaten. In dem in der Berufungshauptverhandlung verlesenen Schreiben, das an die Polizeidienststelle der vier Geschädigten gerichtet war, ließ der Verteidiger des Angeklagten ausrichten, dass er „namens und in Vollmacht von Herrn … mitteile, dass sich dieser bei den beteiligten Polizeibeamten, die er beleidigt hat, in aller Form entschuldigen möchte.“ Auch die Schmerzensgeldzahlungen zur Abwendung eines zivilrechtlichen Verfahrens erfolgten durch Einschaltung des Verteidigers über die Polizeigewerkschaft ohne eine persönliche Konfrontation zwischen Täter und Opfer. Erst über ein Jahr nach der Tat entschuldigte sich der Angeklagte für sein Verhalten vom 02.06.2011 im formalen Rahmen der Berufungshauptverhandlung persönlich bei PK I, der als Zeuge geladen war. Nach Auffassung der Kammer reichen diese Umstände nicht für den von § 46 a Nr. 1 StGB vorausgesetzten „kommunikativen Prozess“ zwischen dem Angeklagten und den geschädigten Polizeibeamten aus.

Nach alldem waren die Bemühungen des Angeklagten lediglich als allgemeine Strafzumessungserwägung zu seinen Gunsten zu gewichten, der Strafrahmen konnte jedoch nicht herabgesetzt werden.

3. Angesichts der Persönlichkeit des Angeklagten und der Tatumstände war die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nicht angezeigt.

§ 47 Abs. 1 StGB sieht eine kurzfristige Freiheitsstrafe nur dann vor, wenn sie aus spezial- oder generalpräventiven Gründen unerlässlich ist. Allein dass sie als angebracht, sinnvoll oder abschreckendes Zeichen bei Delikten gegenüber Polizeibeamten erscheint, reicht nicht aus. Auch die Schwere der Schuld allein rechtfertigt eine kurzfristige Freiheitsstrafe noch nicht. Regelmäßig bedarf die Unerlässlichkeit einer besonderen Begründung, während das Gesetz ersichtlich vom Normalfall, der Verhängung einer Geldstrafe ausgeht.

Eine kurze Freiheitsstrafe ist bei einem Ersttäter in der Regel nicht unerlässlich. Nur dann ist bei Erstbestrafungen eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten unerlässlich, wenn sich klar abzeichnet, dass sie das einzige Mittel ist, um den Täter von der Fortsetzung seines strafbaren Verhaltens abzubringen (OLG Stuttgart v. 11. 11. 2011 – 4 Ss 532/11).

Der Angeklagte ist nicht vorbestraft und hat ein umfassendes Geständnis abgelegt. Durch seine Entschuldigungen bei den Geschädigten sowie seine Schmerzensgeldzahlungen hat er Einsicht in das von ihm begangene Unrecht gezeigt. Eine erneute vergleichbare Aggression ist nicht zu erwarten.Nach Einschätzung der Kammer handelt es sich vielmehr um einen singulären Vorfall mit Ausnahmecharakter. Deshalb reicht eine Geldstrafe in jeder Hinsicht als Reaktion aus.

4. Bei der konkreten Strafzumessung hat die Kammer zugunsten des Angeklagten bei sämtlichen Taten berücksichtigt, dass er bislang nicht vorbestraft ist und in geordneten Verhältnissen lebt. Er hat die Taten voll umfänglich eingeräumt. Nach dem persönlichen Eindruck der Kammer im Rahmen der Berufungshauptverhandlung bereute er die Taten aufrichtig und beteuerte, dass er sich für seinen „Ausraster“ schäme. Anlass für die Taten war, dass er sich vom Kassierer der Diskothek „...“ ungerecht behandelt fühlte. Die daraus resultierende auch körperlich manifestierte hohe Erregung begünstigte in Verbindung mit seiner alkohol- und drogenbedingten Enthemmung die Taten. Die tätlichen Angriffe auf den Türsteher H und PK I führten lediglich zu geringfügigen Verletzungen. Für die Vorfälle entschuldigte sich der Angeklagte, sei es durch Schriftsatz seines Verteidigers (bzgl. der Beleidigungen (II. Ziff. 3.) – gegenüber allen 4 Polizeibeamten) oder durch persönliche Ansprache gegenüber den Geschädigten H und I. Zudem leistete der Angeklagte an die Polizeibeamten Ausgleichszahlungen in Form von Schmerzensgeld.

Zu seinen Lasten fällt jedoch ins Gewicht, dass die Vorfälle gegenüber der Polizei (II. Ziff. 2., 3. und 5.) sich über eine nicht unerhebliche Zeitspanne von 1 ¾ Stunden erstreckten. Auch belegen die körperlichen und verbalen Attacken des Angeklagten eine nicht unerhebliche Aggressivität, wobei jedoch auch nach dem Eindruck des Zeugen I eine Abschwächung insofern festzustellen war, als der Angeklagte nach seiner Festnahme im Polizeirevier „nur“ noch verbal ausfällig war. Im Hinblick auf die Taten II. Ziff. 1., 2. und 3. wurde schließlich berücksichtigt, dass jeweils zwei Delikte tateinheitlich vorlagen. Darüberhinaus wurde gewürdigt, dass die Widerstandshandlungen bei der Tat II. Ziff. 2 mehraktig waren, sich steigerten und sich gegen zwei Polizeibeamte richteten. Bei den Taten II. Ziff. 3. und 5. wurden schließlich jeweils zwei Personen bedroht bzw. bei der Tat II. Ziff. 3 vier Personen mit mehreren drastischen Ausdrücken beleidigt.

Nach alldem erachtet die Kammer unter Berücksichtigung der genannten Umstände folgende Einzelstrafen als tat- und schuldangemessen:

a) Für die Tat II. Ziff. 1: 50 Tagessätze,

b) für die Tat II. Ziff. 2: 50 Tagessätze,

c) für die Tat II. Ziff. 3: 30 Tagessätze,

d) für die Tat II. Ziff. 5: 20 Tagessätze.

5. Nach §§ 53, 54 StGB war aus diesen Einzelstrafen eine Gesamtgeldstrafe zu bilden. Neben der bei der Bemessung der Einzelstrafen maßgeblichen Strafzumessungsgründe, die auch bei der Bildung der Gesamtstrafe Berücksichtigung fanden, hat die Kammer den engen situativen und sachlichen Zusammenhang der verbalen und tätlichen Aggressionen gewürdigt. Es rechtfertigte sich daher ein Zusammenzug auf die tat- und schuldangemessene

Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen.

6. Im Hinblick auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten wurde die Höhe des einzelnen Tagessatzes – unter Zugrundelegung eines monatlichen Mindestbedarfs von 450 EUR – auf 15 EUR festgesetzt.

VI.

Im Hinblick auf die unter II. Ziff. 4. des amtsgerichtlichen Urteils genannten Tat war der Angeklagte „wegen Beleidigung in 4 tatmehrheitlichen Fällen“ – wie sich aus IV. der Urteilsbegründung ergibt, war wohl in 4 tateinheitlichen Fällen gemeint – aus rechtlichen Gründen freizusprechen, da insoweit keine Straftat vorlag.

Durch gleichlautende Anklage der Staatsanwaltschaft Tübingen vom 11.11.2011, die verlesen wurde, war ihm folgendes vorgeworfen worden:

„Als der telefonisch verständigte Bereitschaftsarzt Dr. F in den Diensträumlichkeiten des Polizeireviers gegen 4.45 Uhr die Blutentnahme durchführte, bezeichnete der Angeklagte in Gegenwart des Arztes aufgrund eines neuen Tatentschlusses die Geschädigten POM D, POM Sch, PMA K und PK I als „Homosexuelle“, um diesen gegenüber seine Missachtung auszudrücken.

Strafantrag wurde jeweils form- und fristgerecht gestellt.“

Diesen Sachverhalt hat das Amtsgericht Tübingen ebenso festgestellt, und er war auch zwischen den Verfahrensbeteiligten in der Berufungsverhandlung ganz unstreitig.

Die vom Amtsgericht festgestellte Äußerung stellt keine Straftat im Sinne der §§ 185 ff. StGB dar, denn es handelt sich nicht um eine Verletzung der Ehre der Polizeibeamten.

Personales Rechtsgut der §§ 185 ff. StGB ist die Ehre als verdienter Achtungsanspruch jedes Individuums. Nach dem normativ-faktischen Ehrbegriff geht es um den auf die Personenwürde gegründeten, jedem Menschen von Verfassungs wegen zustehenden Geltungswert und den daraus folgenden Anspruch, nicht unverdient herabgesetzt zu werden. Dieser Ehrenstatus reflektiert auf den Aspekt personaler Würde als Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG) und auf die Geltung der Person in der Gesellschaft. Demzufolge impliziert eine Beleidigung im strafrechtlichen Sinne die Kundgabe der Missachtung bzw. Nichtachtung und somit eine Aussage mit wertminderndem Gehalt. Hierbei ist der Äußerungsinhalt unter Berücksichtigung der Begleitumstände zu ermitteln. Der Ehrbegriff ist „normativ“, weil es dabei nicht primär auf einen bloßen Beleidigungswillen des Äußernden oder auf die subjektiv empfundene Kränkung des Erklärungsempfängers ankommt. Vielmehr muss die Bedeutung der Äußerung objektiv unter Beachtung der Wertungen der Rechtsordnung gewürdigt werden. Keine Beleidigung stellen daher wertneutrale Äußerungen dar, die von der erklärenden Person nach ihrer eigenen Wertung als „beleidigend“ gemeint sind (s. zum Ganzen, Fischer, a.a.O., § 185 Rn 3 ff.).

In diesem Sinne kommt der Bezeichnung anderer Personen als „homosexuell“ keine wertmindernde Bedeutung – mehr – zu. Diese Bewertung folgt aus Art. 3 GG und der einfachgesetzlichen Konkretisierung des Gleichheitsgrundsatzes durch § 1 des Antidiskriminierungsgesetzes (ADG). Demzufolge sind „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, eine Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“. Niemand darf also wegen seiner sexuellen Identität diskriminiert werden.

Schon rein empirisch ist zweifelhaft, ob die Bezeichnung als „homosexuell“ eine Herabwürdigung enthält. Das mag in der Vergangenheit anders gewesen sein. Der gesellschaftliche Wandel in der Einstellung zur Homosexualität äußert sich etwa darin, dass sich führende Politiker oder Prominente als Homosexuelle offenbaren. Auch innerhalb der Polizei gibt es ein „Netzwerk für Lesben und Schwule“, das sich für mehr Toleranz einsetzt (s. www.velspol.de).

Entscheidend ist aber, dass sich das Strafrecht in einen Widerspruch zu dem verfassungsrechtlich begründeten Antidiskriminierungsansatz begeben würde, wenn die Bezeichnung als „homosexuell“ als ehrmindernd und herabsetzend bewertet würde. Darin käme gerade die Diskriminierung zum Ausdruck, die von Rechts wegen nicht mehr sein soll. Insoweit verhält es sich nicht anders wie mit sonstigen Bezeichnungen einer sexuellen Präferenz wie „bisexuell“ oder „heterosexuell“ oder mit Bezeichnungen einer religiösen Zugehörigkeit wie Katholik oder Jude – und zwar völlig unabhängig davon, ob der Erklärungsempfänger der betreffenden Personengruppe angehört. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass hier uniformierte Polizeibeamte als „homosexuell“ tituliert wurden. Ein Sonderrecht für Polizeibeamte in Uniform – schärfer: eine Ausnahme vom verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbot – ist nicht anzuerkennen.

Anders beurteilen sich Äußerungen, die sich nicht auf die Bezeichnung „homosexuell“ beschränken, sondern zusätzlich eine Herabwürdigung ausdrücken wie z.B. „dreckige Schwanzlutscher“ oder „Schwuchteln“. Solche Äußerungen hat das Amtsgericht ebenfalls festgestellt (s. II. 3.) und völlig zu Recht als Beleidigungen gewertet.

Angesichts dessen war der Angeklagte im Hinblick auf II. 4. des amtsgerichtlichen Urteils (Ziff. 4 der Anklage) freizusprechen.

VII.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.[[Kategorie:Verboten]

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